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Ein Gespenst geht um in
Europa. Doch 150 Jahre nach der Veröffentlichung des Kommunistischen Manifestes hat es
offenbar sein Gewand gewechselt. Von Hammer und Sichel zum Krummschwert? Diesen Eindruck
der Bedrohung durch den Islam muß man unweigerlich bekommen, verfolgt man die
Veröffentlichungen in Presse, Publikationen und Programmen, die sich mit der islamischen
Religion und ihren Ausprägungen befassen. Da flimmern bärtige Dschihad-Krieger über den
Bildschirm, schimmert auf Magazintiteln das Schwert des Islam hinter den Schleiern
glutäugiger Schönheiten und tragen selbst betende Moscheegänger zum Unwohlsein des
abendländischen Betrachters bei. Die Masse macht's. Daß der Islam auf dem Vormarsch ist,
gilt spätestens seit der iranischen Revolution als ausgemacht - und sein Motor ist der
Fundamentalismus. Angefangen bei Khomeini über Gaddhafi hin zu Saddam Hussein reicht die
Namensliste der islamischen Bösewichter, die Blutspur des Fundamentalismus führt von der
Islamischen Heilsfront in Algerien und den ägyptischen Muslimbrüdern über Steine
werfende Jugendliche im Gaza und den iranischen Ayatollahs zu den afghanischen
Mudschahedin und Taliban-Milizen - ein Halbmond des Schreckens. Was dies alles mit dem Islam, mit der
islamischen Welt und dem Fundamentalismus zu tun hat, wurde uns in den letzten
Jahren eindrucksvoll durch selbsternannte Nahost-Experten in Bestsellern und TV-Beiträgen
vermittelt. Und schnell wurde in unseren Medien ein jeder, der sich zum Islam bekennt, zum
verkappten Fundamentalisten. Fürwahr ein wohfeiles Erklärungsmuster für all die
undurchschaubaren sozialen und politischen Entwicklungen, die in so fremden und fernen
Ländern wie Algerien, Westsumatra oder der Tschetscheno-Inguschen-Republik dem
europäischen Publikum verschlossen bleiben. Nein, es hat auch an differenzierten Stimmen
nicht gefehlt, doch fielen sie genauso dem kollektiven Kurzzeitgedächtnis zum Opfer, wie
die Verweise darauf, daß die Mudschahedin einst als "Freiheitskämpfer"
tituliert wurden und ein Saddam Hussein noch "Bollwerk des Westens" gegen den
Iran war.
Der Feindbildwechsel von Marx zu Mohammed scheint
unaufhaltsam. Und fällt auf beackerten Boden: Von den "Sarazenen" der
Pilgerfahrer, wie sich die Kreuzzügler freundlich nannten, über die meuchelmordenden
"Assassinen" und die abendlandbedrohenden "Türken" vor Wien und dem
Hadschi Halef Omar, der muslimischen Kontrastfigur zu Karls Mays christlichem Helden Kara
Ben Nemsi, zieht sich der Grauschleier der deutschen Erkenntnis über den Islam hin zu den
"schiitischen Fundamentalisten" der heutigen Tagesschausprecher. Wie bei jedem
Feindbild spiegelt sich auch im Islam-Bild in Deutschland eher die eigene Befindlichkeit
als die Realität der Abgebildeten wider. Das Dar al Islam, das Gebiet des Islam, ist noch
weithin Terra incognita für die deutsche Bevölkerungsmehrheit. Unkenntnis und ein
diffuses Bedrohungsgefühl bestimmen die Vorbehalte gegen den Islam und seine Anhänger.
Kein Wunder daher, daß auch hier das Schlagwort des amerikanischen Politologen Samuel P.
Huntington vom "Clash of Civilizations" Gehör findet.
Doch längst droht der Fundamentalismus nicht
mehr nur, "wenn hinten, weit in der Türkei, die Völker aufeinanderschlagen",
schon tobt der Kulturkampf mitten in Duisburg-Marxloh. Seit der Einwanderung von Muslimen
aus der Türkei, aber auch aus Ländern wie Pakistan, Irak und Ägypten, befinden sich
Orient und Okzident quasi Tür an Tür. An die 2,7 Millionen Muslime in Deutschland wenden
sich gen Mekka, ihre Gotteshäuser verzeichnen einen Zulauf, von dem die christlichen
Kirchen nur träumen können. Da wird manchem Gralshüter des christlichen Abendlandes
angst und bange. Die Gefahr ist groß und lauert überall: So ziehen konservative
Kommunalpolitiker gegen den Bau von Moscheen ins Feld, wehren sich Pfarrer gegen den Ruf
des Muezzins in ihrer Nachbarschaft, warnen Lehrer vor den Kopftüchern und dem Hidschab,
der züchtigen islamischen Kleidung ihrer Schülerinnen, und Verfassungsschützer vor
Moscheevereinen und islamischen Organisationen als Gefahr für die
freiheitlich-demokratische Grundordnung. Ob es den schon statistisch kaum ins Gewicht
fallenden 30000 Mitgliedern der als grundgesetzfeindlich eingestuften Muslimorganisationen
wirklich gelingt, an den Grundfesten unserer Ordnung zu rütteln, scheint zwar auch den
Verfassungsschützern fraglich, doch: "Es zeigt sich immer wieder, daß Islamisten
sich letzten Endes den Gesetzen nicht anpassen wollen", so Oberverfassungsschützer
Peter Frisch. Am Islam stört die hauptberuflichen und vielen ehrenamtlichen Mahner und
Warner nicht so sehr was ist, sondern was - vermeintlich - dahintersteckt. Doch dies
steckt immer auch in den eigenen Köpfen. So bieten die überwiegend türkisch-islamischen
Organisationen und ihr Umfeld in Deutschland reichlich Projektionsfläche für beliebige
Spekulationen und tiefsitzende Ängste. Und schnell wird der Muslim von nebenan, der mit
dem Gottesstaat so wenig am Hut hat wie der Katholik mit dem Zölibat, in
islamisch-fundamentalistische Sippenhaft genommen. "Gefährlich fremd", wie ein
Hamburger Nachrichtenmagazin titelte, stehen sich plötzlich Deutsche und ausländische
Muslime gegenüber, letztere mal in der Version der fanatischen Fahnenschwenkerin, mal
Kopftuch-bedeckt den Koran studierend oder als düster-drohende und waffenstarrende
Jugendlichenbande. Ein Schelm, wer da an Feindbilder denkt, wissen die Schreiber doch die
Wissenschaft im Rücken: Auch die hat den islamischen Fundamentalismus in Deutschland
entdeckt und fand ihn "verlockend". So der Bielefelder Soziologe Wilhelm
Heitmeyer. Seither sind unheilverkündene Prozentzahlen von religiös motivierter
Gewaltbereitschaft bei türkischen Jugendlichen in aller Munde. Und der vermeintliche
islamische Fundamentalismus schiebt sich in der öffentlichen Diskussion um die
nachwachsende Einwanderergeneration angesichts sozialarbeiterischer Hilflosigkeit und
politischem Versagen erneut als Erklärungsmuster in den Vordergrund.
Ein Ende der Gespenster-Debatte ist nicht in
Sicht. Dies wird es vermutlich auch erst geben, wenn wir uns auf beiden Seiten auf die
Suche machen - statt nach dem gefährlich Fremden, nach dem verbindenen Gemeinsamen, mit
Neugier anstelle des Gefühls einer Bedrohung. Vielleicht findet dann auch ein -
aufgeklärter - Islam seinen Platz im Land der Dichter und Denker: "Wer sich selbst
und andere kennt, wird erkennen, Orient und Okzident sind nicht mehr zu trennen",
schrieb Goethe in seinem West-östlichen Diwan |
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