Kitab al-futuwwah

von Abu 'Abdul-Rahman Muhammad ibn al-Husayn ibn Muhammad ibn
Musa ibn Khalid ibn Salim ibn Rawia al-Sulami (936 - 1021 n. Chr.)
 
 
Im Folgenden finden Sie Zitate aus dem Taschenbuch:
 
     
 

"Der Sufi-Weg zur Vollkommenheit"

esotera Taschenbuch, Verlag H.Bauer (1985).

 

 
  Das Kitab al-futuwwah ist hier erstmals ins Englische und von da ins Deutsche übertragen. Der Übersetzung liegt der arabische Originaltext zugrunde, der einem in der Bibliothek des Hagia-Sophia-Museums in Istanbul befindlichen Manuskript entnommen ist (Band 2049, Folio-Seiten 87a-99a). Auf die Wiedergabe der Isnad habe ich hier verzichtet. Die Übertragung ins Deutsche besorgte Franz Langmayr, bearbeitet von Roland Pawlowski.

Es ist sozusagen der Moralkodex der Sufis. Es beschreibt die wahre Bedeutung von Mitleid, Liebe, Freundschaft, Großzügigkeit, Selbstverleugnung und Gastfreundschaft. Futuwwah ist der Weg des fatã. Im Arabischen bedeutet fatã wörtlich: stattlicher, schöner und tapferer junger Mann. Nach der Verwendung im Koran ist die Bedeutung: idealer, edler und vollkommener Mann. Nach den Lehren der Sufis ist das Futuwwah ein Kodex des ehrbaren Betragens.

Der allumfassende Inbegriff des Futuwwah-Weges ist das von Gott geleitete Leben. - In der Zeit von Ibn ‘Arabi (†1240), al-shaykh al-akbar, dem Inbegriff eines geistigen Meisters geschah die Versöhnung zwischen orthodoxem und mystischem Islam und Futuwwah entwickelte sich zu einer Art arabischen Ritterordens.

409) S. 20 Hazrat ‘Ali, der Löwe Allahs: Als du mir ins Gesicht gespien hast, hat das den Ärger meines Ego erregt. Hätte ich dich dann getötet, wäre es nicht um Allahs willen geschehen, sondern um meines Ego willen. Dann wäre ich ein Mörder geworden.

410) S.38 Im arabischen Originaltext des Kitab al-futuwwah ist jedem Absatz entweder ein Hadith (Spruchweisheit) oder eine Aussage eines Sufi-Heiligen angefügt. Sulami ergänzt diese durch eine lange Kette von Autoritäten, die das Gesagte überliefern (isnad); diese Kette reicht von demjenigen, von dem die Aussage stammt, bis zu ihm selbst. ... Isnad ist bei allen religiösen Texten des Islam äußerst wichtig, denn eine Behauptung hat keinen Wert, wenn für sie nicht ein Zeuge angegeben werden kann, der sie gehört hat.

411) S. 43 Alles Lob gebührt Allah, Der den Weg des Futuwwah eröffnet hat, den Pfad, der zur wundervollsten Art, Ihm gegenüber unsere Pflicht zu erfüllen, hinführt; gepriesen sei Allah, Der diesen Weg von allen Irrtümern und allem Übel geräumt und gereinigt und in die höchste Höhe erhoben hat.

412) S. 44 Abraham, der Freund Allahs und ein wahrer fata, zerbrach die Statuen und Götzen. Durch Futuwwah war Ismael bereit, seinem Allerhöchsten Herrn geopfert zu werden und Lot erreichte dadurch den hohen Himmel, von dem es keinen Abstieg mehr gibt. Durch Futuwwah betet Isaak bis zum Tag des Gerichts. Jakob hielt fest an den Idealen des Futuwwah. In dem Futuwwah fand Job Trost in seiner Krankheit. Mit Futuwwah ging Josef den schönsten der Wege und hatte bei jedem Schritt Erfolg. ... Moses wurde die Ehre zuteil, daß ihm das Kleid des Futuwwah verliehen wurde. Aaron hielt sich an Futuwwah und übte die rechte Rede. ... Das Herz Davids wurde durch Futuwwah wiederbelebt ... Salomo empfing Futuwwah von David. Dadurch erlangte er Befehlsgewalt über die Menschen und die Jinns. ... Jesus erstrahlte durch Futuwwah im reinsten Licht und wurde der Geist und der Messias genannt. Der vollständige Sieg wurde Muhammad gegeben, Friede und Segen seien mit ihm, ...

413) S. 48 Suche keine Fehler an deinen Freunden. ... Wenn du beginnst, an Moslems Fehler zu suchen, dann säst du Zwietracht zwischen ihnen oder wenigstens Uneinigkeit.

414) S. 49 Großzügigkeit ist eine charakteristische Eigenschaft der Bewohner des Paradieses.

415) S. 50 das erste Zeichen der Intelligenz ist es, daß man an Allah glaubt. Das nächste besteht darin, daß man mit Menschen nachsichtig ist, wenn es sich um Dinge handelt, die nicht im Verlassen der Wahrheit bestehen.

416) S. 52 Diejenigen, die Allah am meisten liebt, sind seine armen und einsamen Diener. ... Sie sind diejenigen, die niemanden und nichts haben außer ihrer Religion. Am Tage des Jüngsten Gerichts werden sie zu Jesus, dem Sohn Marias, gebracht werden.

417) S. 53 Verstehe, daß das, was du wahrhaft besitzt, nicht das ist, was du deinen Besitz nennst, sondern das, was du für deine Brüder ausgibst.

418) S. 54 Wenn einer, der fastet, zu seinen Brüdern kommt und sie ihn bitten, sein Fasten zu brechen, dann sollte er es tun.

419) S. 54 Allah haßt die, die ihren Freunden gegenüber betrübte und traurige Gesichter machen. ... Was erregt Allahs Ärger am meisten? Wenn jemand sich selbst und seine Taten für großartig hält, und noch schlimmer, wenn er erwartet, daß seine guten Taten erwidert werden.

420) S. 55 Pflege Umgang mit jemandem, der kommt und dich besucht, wenn du krank bist, und der für dich um Vergebung betet, wenn du Unrecht tust.

421) S. 58 Wenn ich einem meiner Brüder sage: „Steh auf, gehen wir“, und er antwortet mir „Wohin?“, dann weiß ich, daß dieser nicht mein Bruder ist.

422) S. 59 Menschen mit Weisheit haben drei Prinzipien: den Frieden in sich zu finden, die Gaben Allahs in Gesellschaft von Menschen zu verteilen, die an Ihn denken, und zu den Menschen mit weiser Zunge über Allah zu sprechen.

423) S. 59 Schreibe deine Gedanken auf und deine Taten. Dazu mußt du dir deiner selbst bewußt sein und dich selbst kennen, und du mußt genug Gewissen haben, um zu bedauern, daß du dein Leben in einer fortwährenden Revolte gegen deinen Schöpfer verschwendest.

424) S. 61 Wer absichtlich hungrig bleibt, ist von den Banden des Teufels frei.

 

 
 

Die charakteristischen Eigenschaften der Sufis

 

 
  425) S. 66
Sie lehnen es ab, für die Erfüllung ihres Ego zu arbeiten oder irgend etwas anzunehmen, das einen Geschmack nach Willkür, Lust, vergnügen oder Laune hat. Sie sind imstande, sich den Befehlen ihres Ego zu widersetzen. Es gibt fünf Ziele, die sie mit Entschlossenheit verfolgen: niemals neidisch auf das zu sein, was andere Menschen haben, niemals andere Menschen belästigen und immer ihre Hände, ihren Magen und ihre geschlechtlichen Wünsche zu beherrschen. Sie sind demütig und sie folgen denen, die ihnen in mystischem Wissen überlegen sind. Sie wenden sich von den folgenden fünf Übeln ab: von allem, was zeitlich ist, von Menschen, von Wünschen, vom Wunsch, ein Führer zu sein und von der Sehnsucht, gelobt zu werden. Sie wünschen sich fünf Gaben: daß ihnen nur wenig von dieser Welt gegeben wird, daß ihnen aber die Wahrheit gegeben wird, daß ihnen die Furcht vor Allah gegeben wird, daß ihnen die Gesellschaft derer gegeben wird, die Allah nahe sind und daß sie vor der Gesellschaft derer bewahrt werden, die sich gegen Allah stellen, daß ihnen die Fähigkeit gegeben wird, die Dinge zu wissen und zu tun, die Allah gefallen und daß sie die Dinge erhalten, die von den Unwissenden zurückgewiesen werden.

426) S. 79 Laß ab von all deinen Bedürfnissen und Wünschen, um dich vor Schicksalsschlägen zu schützen.

427) S. 80 Sei allein, halte dich fern von den Menschen. So schützt du deine Religion und dein Glück.

428) S. 81 Wenn jemand eine Frage über den Willen hat und keinen Führer finden kann, der sie ihm beantwortet, dann soll er die Wünsche seines Ego betrachten und das genaue Gegenteil tun. Dann wird er die Wahrheit über die Sache erfahren.

429) S. 96 Treue und Rücksicht anderen gegenüber ist ein Mittel, das Bewußtsein aus dem Schlaf der Unbekümmertheit zu erwecken und die Gedanken von den Übeln freizuhalten, die von der Einbildung ausgehen.

 

 
 

Bei Annemarie Schimmel "Mystische Dimensionen des Islam" heißt es auf S.349:

"Der Gedanke des futuwwa geht in der Tat auf den frühen Sufismus zurück. Der fatã ist >der junge Mann<, >der tapfere Jüngling<, großmütig und treu. ... und Sulami, .., hat einen anderen Traktat der futuwwa gewidmet, in dem er 212 Definitionen des wahren fatã aufzählt.

Im ganzen kann man wohl Ibn 'Arabis Definition des fatã akzeptieren: es ist derjenige, der die Älteren ehrt, die Jüngeren gütig behandelt, und die Gleichstehenden sich selbst vorzieht. Das Sufi-Ideal des ïthãr, >andere sich selbst vorziehen<, wird im futuwwa-Begriff zur Vollendung gebracht."