Der Steppenreiter

      
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Vom Lösen ("Release")

  Der Moment, indem der Pfeil die Sehne und dann den Bogen verlässt dauert wenige hundertstel Sekunden. Unsere Sinne und Muskeln sind zu langsam, um diese Zeiteinheit erfassen zu können und trotzdem muss es dem Schützen gelingen eine möglichst genaue Wiederholungsrate immergleicher Bewegungen innerhalb dieser Zeitspanne zu erreichen, denn in dieser kurzen Zeit entscheidet sich, ob der Schuss ein Treffer wird oder nicht. Das ist die Kunst der Bogenschützen. Um sich die Kontrolle über Zeiteinheiten zu erarbeiten, die jenseits unserer Auffassungsgabe liegen, ist es von großer Bedeutung korrekt eingeübte Bewegungsabläufe oft zu wiederholen und ein Verständnis dafür zu entwickeln, weshalb es so und nicht anders gemacht wird. Dabei helfen uns die Erfahrungen und Reflektionen der Bogner früherer Zeiten und was sehr wichtig ist ein Lehrer, der uns in der Kunst des Bogenschiessens ausbildet.
    
  So raten schon die alten orientalischen Meister aus dem 9. Jahrhundert, durch die Ruhigstellung der Augen zwingt der Schütze seinen Körper zur Ruhe bei und nach dem Schuss. Augenschließen oder Kopf Wegdrehen führen auch zu Bewegungen im Rest des Körpers und sind nicht vorteilhaft. Nur als Sonderübung zur Verstärkung des Körpergefühls sollte das Augen schließen während des Abschusses geübt werden.
Erst wenn diese Übung  zum korrekten Lösen mit dem Gummiband so perfekt erlernt worden ist, daß ein Ausbilder keine Mängel mehr fest stellen kann, wird mit dem Nullbogen (türkisch: kepade) oder einem sehr leichten Bogen begonnen. Man sollte niemals vorher mit einem starken Bogen beginnen, da sich sonst Fehler einschleichen, die nur schwer zu korrigieren sind.
 
  In unserem täglichen Sprachgebrauch heißt es „Bogen schießen“ oder „den Pfeil abfeuern“, beides sind für den ihn beschreibenden Vorgang jedoch falsche Begriffe, die unser Verständnis in die Irre führen. Wenn sie im vorliegenden Text verwendet werden, dann nur deshalb, um das Alltagsverständnis nicht allzu sehr zu verwirren. Schießen und feuern sind nämlich Worte, die vom Umgang mit dem Gewehr kommen, dessen Gebrauch hat jedoch nur wenig Ähnlichkeit mit dem Bogensport. Ganz besonders auffällig ist das durch unsere Wortwahl kennzeichnende Verständnis beim eigentlichen Vorgang des Auslösens des Pfeilflugs, den die Araber Ar – Rahmiyya, Pfeile fliegen lassen nennen[1].
 
  Das Lösen der Hand von der Sehne - je nach Releaseart, entweder die Finger oder der Daumen - gibt den Pfeil frei. Es ist der wichtigste Moment beim Bogenschiessen. Unser Verstand arbeitet zu langsam, um diesen Moment angemessen mit geistigen Kräften erfassen zu können, geschweige denn bewusst zu lenken. Mit beständiger Übung erarbeiten wir uns ein intuitives Körperbewusstsein für eine möglichst gleichmäßige Technik des Lösens, das die „Kontrolle ohne Kontrolle“ trotzdem ermöglicht.
 
(Weitere Ausführungen zu diesem Hochleistungsprozess,. in Spiegel Online.
[2])

Bei den osmanischen Meisterschützen galt die Spruchweisheit, ein Tag koste vierzehn Tage und meinten damit ein Tag ohne Übung würde erst nach vierzehn Tagen regelmäßigen Übens wieder wettgemacht.
Um wie viel bedeutender ist das regelmäßige Üben beim berittenen Bogenschiessen: Hier nämlich kommt es zudem noch darauf an, genau dann zu lösen, wenn das Pferd in der Schwebephase des Galopps den Impuls dazu gibt. Das rechte Lösen des Pfeils ist für Bogenschützen eine der schwierigsten Aufgaben überhaupt. Es gibt kaum einen Schützen, der nicht versucht sich diesen Moment bewusst zu machen und was er währenddessen tut. Es vergeht einige Zeit vom Entschluss zum Lösen bis der Pfeil auf seinem Weg fliegt und versuchten wir uns daran zu erinnern, wie es geschah, es gelingt uns nicht. Und doch sind diese Millisekunden vor während und nach dem Schuss entscheidend für den Pfeilflug und damit die Trefferwahrscheinlichkeit. Je nachdem wie wir die Sehne halten, ob mit dem Daumen oder mit den Fingern, wir müssen diese schnell, kurz und trocken öffnen und dürfen die Sehne und den Bogen dabei nicht verreißen.
 

  Da unsere Aufmerksamkeit nicht ausreicht, diese hundertstel Sekunden zu erfassen, richten wir sie bald auf Eine dann auf das Andere, die Haltung des Ellenbogens, das Zusammenziehen der Schultern, das Verhältnis des Pfeils zum gedachten Ziel  und vielem anderen mehr. Doch es gelingt nicht alles gleichzeitig zu kontrollieren, was jedoch nötig wäre um dem Pfeil eine optimale Bedingung mitzugeben sein Ziel sicher zu finden und dann noch korrekt zu lösen. Wir stellen fest, wenn wir uns sehr auf das Ziel fokussieren, wir beim Lösen krampfen und so keine optimalen Bedingungen schaffen. Alle Konzentration ist vom Ziel absorbiert und deshalb wissen wir nicht, was wir tun und wie wir es tun und vor allem wann wir es tun. Wir beobachten, dass uns die Entscheidung zu einem bestimmten Zeitpunkt zu lösen nicht gelingen will, und so schaffen wir mehr oder weniger unbewusste Bedingungen für den Pfeilflug.
 


Bald bemühen wir innere Kräfte um diesem Problem Herr zu werden. Bald nennen wir es instinktiv, dann wieder Intuition oder wir sprechen vom Körperbewusstsein. Doch diese Worte bleiben leer, denn sie treffen nicht den Kern, sind selbst ungenau und werden so meist ideologisch überfrachtet. Wir bemühen innere Wege, und was wir auch tun: Das Problem entweicht unserer Beherrschbarkeit und Kontrolle. Des Rätsels Verstrickungen umschlingen uns immer mehr, je größer unser Anstrengungen werden, die offensichtliche Tür, durch die wir gehen müssen, entdecken wir nicht. Selbst der Fingerzeig der Sprache bleibt uns geheimnisvoll und nichts sagend. Und dann geschieht es, mit zunehmender Übung gelingen uns hin und wieder diese goldenen Schüsse und wir bemerken, dass sie von einem sonderbaren Gefühl der Stimmigkeit begleitet werden. Das ist es, was wir suchen.

 Lösen, ganz gleich in welcher Sprache wir davon sprechen, der Vorgang heißt: „Lösen“!
 

 

Und das will uns nur gelingen, wenn wir uns einerseits einen sehr korrekten Bewegungsablauf erarbeitet haben, auf den wir uns in jeder Situation verlassen können und doch jegliche Anspannung und Blockade aus unserem Körper verbannen und das Lösen geschehen lassen.

Ali, der Neffe des Propheten Mohammed  und selbst herausragender Bogenschütze sagte einmal: „Wer sich nicht bemüht ist töricht, wer nur auf seinen Bemühungen vertraut, gottlos!“ 
 

 

Während des Zugvorgangs atmet der Bogenschütze leicht ein und steigert damit das Gefühl von Stärke und Entspanntheit. Während des Transferprozesses (Aufbau der Rückenspannung) muss langsam und gleichmäßig ausgeatmet werden und es muss eine natürliche Entspannung erzeugt werden. Dabei werden die Lungen bis zum natürlichen Gleichgewicht ausgeatmet. Die Atmung muss nun in dieser Stellung gehalten werden bis das Lösen abgeschlossen ist.

In dieser Phase muss der Fokus zu 100% in den Aufbau der Rückenspannung gehen und dort auch bleiben. Wenn nun ein anderer Gedanke den Bogenschützen ablenkt, geht die Rückenspannung sofort verloren.

Der Bogenschütze muss verstehen, dass es beim Ankern oder dem Erreichen der Halteposition nicht um einen eigenen Schritt, sondern um das Erreichen eines kritischen Punktes, quasi eines Meilensteins, geht. Es handelt sich um einen fließenden Prozess, der mit allen Überprüfungen und Kontrollen unter Beibehaltung des Gleichgewichts und der Balance ausgeführt wird.

Mit dem Ankern beginnt gleichzeitig die Bereitschaft zum Zielen und Lösen.

Bogenschießen ist die Kunst des Identischen!

 


[1] Heute durchdringen allerorten Anglizismen unsere Alltagssprache und im englischsprachigen Raum hat sich der Begriff Release XE "Release"  eingebürgert. Vor nicht allzu langer Zeit hatte ich mit Hilary Greenland von der britischen SPTA (Society for Promotion of Traditional Archery) eine interessante Diskussion über die korrekte Wortwahl beim Bogenschiessen und sie bestand entschieden darauf den Begriff – Loose – zu verwenden und nicht Release oder was ihr einen Schauder verursachte „fire“, womit sie sicher richtig, aber vollkommen allein auf weiter Flur sein dürfte.

[2]aus Hochleistungswunder homo sapiens,
...

Das Problem: Calvin hatte angenommen, dass der Zeitpunkt der einzige Faktor ist, der die Präzision eines Wurfs bestimmt. Mittlerweile wissen es Forscher jedoch besser. "Das richtige Zeitfenster exakt zu erwischen, ist in der Praxis des Werfens nicht entscheidend", sagt Müller. "Was den Menschen zum Könner in Sachen Präzision macht, ist die Kombination von drei erlernbaren Komponenten: Stabilität, Rauschreduktion und Ko-Variation."
Zuerst muss der Werfer lernen, die beste Kombination aus Abwurfgeschwindigkeit und Abwurfwinkel zu finden und sie möglichst konstant beizubehalten. Damit erfüllt er die erste Voraussetzung, die Stabilität. Als nächstes sollte er sich darauf konzentrieren, die Streuung seiner Würfe zu reduzieren - etwa, indem er die unwillkürlichen Bewegungen seiner Muskeln so gering wie möglich hält. Im dritten Schritt ist schließlich flexibles Reagieren gefragt: Der Werfer muss lernen, wie er ungeplante Abweichungen bei einem Parameter, beispielsweise der Geschwindigkeit, ausgleichen kann, in dem er den Abwurfwinkel anpasst.

 

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